Norderstedt nutzt Photovoltaik-Anlage zur Dekarbonisierung des eigenen Fernwärmenetzes

Die Stadt Norderstedt, mit 80.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Schleswig-Holsteins und direkte Nachbarstadt Hamburgs, rückt das Thema Nachhaltigkeit noch weiter in den Mittelpunkt der Stadtentwicklung. Ein zentraler Schwerpunkt ist dabei die lokale Wärmeversorgung: Das bereits bestehende Wärmenetz wird von den eigenen Stadtwerken betrieben.
Ursprünglich versorgten erdgasbetriebene Blockheizkraftwerke die angeschlossenen Haushalte und Betriebe mit Wärme. Die Verabschiedung des Energiewende- und Klimaschutzgesetzes Schleswig-Holstein im März 2017 markierte jedoch einen Wendepunkt: Sie gab den Anstoß, das Wärmenetz schrittweise zu dekarbonisieren und damit den Ausstoß von CO2 zu reduzieren.
Anfangs konzentrierten sich die Planungen auf die Errichtung einer Solarthermieanlage. Später wurde das Konzept weiterentwickelt – hin zur Errichtung einer Photovoltaik-Freiflächenanlage, die künftig in Kombination mit mehreren Wärmepumpen an den Standorten der bisherigen Blockheizkraftwerke für eine emissionsreduzierte Wärmeerzeugung sorgen wird.

Der folgende Zeitstrahl zeigt detailliert die Entwicklung von der ersten Idee bis zum Bau der Photovoltaik-Anlage. Er hebt hervor, wie politische Rahmenbedingungen, technische Innovationen und das Engagement der Stadt Norderstedt zusammenwirken, um das Wärmenetz fit für eine klimaneutrale Zukunft zu machen.

2017

März 2017

Im März 2017 tritt das Energiewende- und Klimaschutzgesetz (EWKG) in Schleswig-Holstein in Kraft. Es definiert die grundlegenden Ziele des Klimaschutzes für das Land Schleswig-Holstein fest und schreibt verbindliche Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen vor. Das Gesetz gibt unter anderem vor, dass der Anteil der Wärme aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2025 mindestens 22 % betragen muss.

2018

Ende des Jahres 2017 und im Jahr 2018

Zu diesem Zeitpunkt verfügt Norderstedt über ein Fernwärmenetz, das von den Stadtwerken betrieben wird und etwa 25 % der Kunden versorgt. Im Jahr 2017 erzeugen 13 erdgasbetriebene Blockheizkraftwerken (BHKW) die Wärme für das Fernwärmenetz der Stadt.
Mit Inkrafttreten des EWKG beschließt die Stadt Norderstedt, eine Strategie zu entwickeln, die das Wärmenetz vorrangig durch die Nutzung von erneuerbaren Energien dekarbonisieren soll.

2019

Im Jahr 2019

Die Stadt Norderstedt entscheidet sich, ihre Strategie zur Dekarbonisierung der Fernwärme neu auszurichten. Ein wichtiger Baustein ist zunächst der Ausbau von Solarthermieanlagen. Daher beginnt die Stadt Norderstedt mit der Suche nach für die Errichtung geeigneten Freiflächen, idealerweise in unmittelbarer Nähe der vorhandenen BHKW, um Leitungsverluste und die Trassenkosten so gering wie möglich zu halten. Um geeignete – möglichst bereits vorbelastete – Flächen zu identifizieren und anschließend im Flächennutzungs- und Bebauungsplan festzusetzen, ist zu diesem Zeitpunkt noch eine zeit- und kostenintensive Standortalternativprüfung erforderlich.

2021

Juni 2021

Im Juni 2021 folgt die Novellierung des EWKG. Die überarbeitete Fassung sieht vor, dass Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral sein soll. Zudem wird für Mittelzentren wie Norderstedt die Erstellung kommunaler Wärmepläne verpflichtend. Die Stadt Norderstedt passt daraufhin ihre Strategie an und zieht nun auch die Errichtung von Photovoltaikanlagen zur erneuerbaren Stromerzeugung in Betracht. In Kombination mit Großwärmepumpen soll so die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung erreicht werden. Deshalb weitet die Stadt die aufwendige Standortalternativprüfung auf Flächen für Photovoltaikanlagen aus, um weiterhin geeignete Potentialflächen in den Flächennutzungs- und Bebauungsplan zu integrieren.

Gesamtes Jahr 2021

Im Laufe des Jahres 2021 nimmt die Stadt Norderstedt erstmals Kontakt mit Eigentümerinnen und Eigentümern von potenziell geeigneten Flächen auf. Die enge Zusammenarbeit zwischen Liegenschaftsamt und Grundstückseigentümern erweist sich dabei als vorteilhaft. 

2022

Anfang 2022

Um sich hinsichtlich der Suche nach Potentialflächen beraten zu lassen, nimmt die Stadtverwaltung Norderstedt Kontakt zu einem Planungsbüro auf. Seitdem begleitet dieses den Prozess der Flächensuche für Solaranlagen sowie die weiteren Schritte auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Fernwärmeversorgung.

Im Laufe des Jahres 2022

Mit der Intensivierung der Gespräche über den Erwerb geeigneter Flächen erstellt die Stadtverwaltung Norderstedt im Jahr 2022 einen Businessplan für das Gesamtprojekt. Die technische Planung erfolgt parallel, wodurch zeitliche Vorteile entstehen. Nach Fertigstellung wird der Businessplan von der Gemeinde beschlossen. Die Ausarbeitung und der Beschluss des Businessplans müssen vor Abschluss der Kaufverträge über die Flächen erfolgen, damit der Haushaltsausschuss der Stadt die Mittel für den Kauf genehmigen kann.

2023

Januar 2023

Am 01.01.2023 tritt die Novellierung des Baugesetzbuchs (BauGB) bundesweit in Kraft. Seitdem gelten Solar-Freiflächenanlagen in einem 200 Meter-Streifen entlang von Autobahnen und zweigleisigen Schienenwegen nach § 35 Abs. 1 BauGB als privilegiert. Diese Änderung ist maßgebend für die Flächensuche und die weiteren Planungen in Norderstedt, da für privilegierte Flächen keine Änderungen von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen mehr erforderlich sind. Um das Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, konzentriert sich die Stadt Norderstedt fortan auf Flächen entlang der Autobahn A7, die den Rand des Stadtgebietes schneidet.
Zudem verbessert der Wegfall der EEG-Umlage die Wirtschaftlichkeit des Projekts.

Frühjahr 2023

Aus den seit 2021 geführten Gesprächen mit Eigentümerinnen und Eigentümern potenziell geeigneter Flächen entwickeln sich im Frühjahr 2023 intensivere Verhandlungen mit einem Landwirt über den Kauf einer Fläche im 200-Meter-Korridor entlang der Autobahn A7.
Im zweiten Quartal 2023 beauftragt die Stadt Norderstedt nach erfolgter Ausschreibung und abgeschlossenem Vergabeverfahren ein Planungsbüro mit der Ausführungsplanung für die Photovoltaik-Freiflächenanlage.

Sommer 2023

Der Haushaltsausschuss der Stadt Norderstedt beschließt die Bereitstellung der Mittel für den Erwerb der Fläche entlang der Autobahn A7.

Herbst 2023

Der Vertrag für den Kauf der Fläche wird im dritten Quartal 2023 beglaubigt.

2024

Im Jahr 2024

Im Jahr 2024 schreibt die Stadt Norderstedt den Bau der Photovoltaik-Freiflächenanlage aus.

Frühjahr 2024

Da die Stromtrasse von der Photovoltaikanlage zum Standort der künftigen Wärmepumpen die Autobahn A7 queren muss, nimmt die Stadt Norderstedt im Frühjahr 2024 Kontakt mit dem Fernstraßen-Bundesamt auf. In den abschließenden Gesprächen wird festgelegt, dass die Stromtrasse die Autobahn unterirdisch queren soll. Im weiteren Verlauf beantragt die Stadt Norderstedt die unterirdische Querung der Leitungstrasse beim Fernstraßen-Bundesamt.

Herbst 2024

Da die Errichtung der Photovoltaik-Freiflächenanlage nach § 35 BauGB als privilegiertes Vorhaben gilt, stellt die Stadt Norderstedt im Jahr 2024 ohne vorherige Bauleitplanung einen Bauantrag für das Projekt bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde. Die Baugenehmigung für die Solar-Freiflächenanlage wird im dritten Quartal 2024 erteilt.

Dezember 2024

Bis Herbst 2024 hat die Stadt Norderstedt bereits zwei Wärmepumpen an bestehenden Standorten von Blockheizkraftwerken installiert, die nun Wärme für das Fernwärmenetz produzieren. Im Dezember 2024 folgt die Installation einer dritten Wärmepumpe. In den kommenden Jahren sollen weitere Wärmpumpen sukzessive die fossile Wärme aus den bestehenden BHKW ersetzen.

2025

Aktueller Stand: Juni 2025

Bereits jetzt hat die Stadt an drei Standorten Luftwärmepumpen installiert, die zusammen mit den noch bestehenden BHKW, Elektrokesseln und industrieller Abwärme, die Wärme für das Fernwärmenetz bereitstellen. Die fossile Wärme aus den bestehenden BHKW soll in den nächsten Jahren schrittweise durch Wärme aus weiteren Wärmepumpen ersetzt werden.
Inzwischen liegt die Genehmigung für die Autobahn-Querung des Fernstraßen-Bundesamts vor. Und auch die Leistungen für die Errichtung der Anlage sind im Juni 2025 bereits vergeben worden, sodass mit den ersten, vorbereitenden Arbeiten begonnen werden konnte.

Fortlaufend

Ausblick: September 2025

Im September 2025 wird voraussichtlich die Hauptbauphase für die Errichtung der Photovoltaik-Freiflächenanlage beginnen.

Ausblick: Frühjahr 2026

Die Inbetriebnahme der Photovoltaik-Freiflächenanlage ist nach aktuellem Planungsstand für das Frühjahr 2026 vorgesehen.

Erste Bilanz und Tipps für andere Gemeinden

Die Stadt Norderstedt verfügt inzwischen über ein Fernwärmenetz, das bereits mit Energie aus Blockheizkraftwerken, drei Wärmepumpen und industrieller Abwärme gespeist wird. Der erfolgreiche Start in die Dekarbonisierung des Wärmenetzes war möglich, weil mehrere Faktoren zusammenwirkten:

  • das bereits bestehende Wärmenetz,
  • die baurechtlich günstige Lage an der A7 sowie
  • der Vorteil, dass durch die eigenen Stadtwerke kein zusätzlicher Netzanschlusspunkt benötigt wird.

Trotz anspruchsvoller Planungsverfahren, sich wandelnder gesetzlicher Rahmenbedingungen und aufwendiger Abstimmungen ist nun der Weg bereitet, das Wärmenetz klimaneutraler auszurichten. Der Baudezernent der Stadt Norderstedt, Herr Dr. Magazowski, hebt dabei drei zentrale Erkenntnisse hervor:

  • Erstens steigen Projektkosten im Laufe der Zeit – daher sei es entscheidend, Planungsverfahren möglichst kurz zu halten und möglichst schnell eine Genehmigungslage zu erreichen.
  • Zweitens ist die Kommunikation zwischen allen Beteiligen von großer Bedeutung und dafür sei es sinnvoll, alle relevanten Akteure möglichst früh „an einen Tisch“ zu bekommen.
  • Drittens solle die Beantragung von Fördermitteln sorgfältig abgewogen werden, da ein möglicherweise hoher bürokratischer Aufwand sowie Zeitverzögerungen im Planungsprozess mit dem Nutzen von Fördermitteln ins Verhältnis gesetzt werden sollten.

Die Lage an der Autobahn ermöglichte ein schlankes Baugenehmigungsverfahren ohne Bauleitverfahren, allerdings wurde die Komplexität der Trassenquerung mit der Autobahn und die Planung der Trasse durch Grünland rückblickend unterschätzt.

Die nächsten Schritte sind klar: Schrittweise Ablösung der fossilen Wärme aus den bestehenden BHKW durch Wärme aus weiteren Wärmepumpen und die Prüfung zusätzlicher Wärmequellen durch industrielle Abwärme und Erdwärme. Bis 2030 sollen so 30 % des Wärmebedarfs über Geothermie und Wärmepumpen gedeckt werden. Perspektivisch plant Norderstedt, die Nutzung von Energiespeichern sowie die Errichtung eines Elektrolyseurs für grünen Wasserstoff zu prüfen. Mit diesen Projekten führt die Stadt Norderstedt konsequent den Weg fort, die Wärmeversorgung zu dekarbonisieren und ein nachhaltiges Leben für die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen.

Steckbrief des Interviewpartners

Name: Dr. Christoph Magazowski

Position: 1. Stadtrat der Stadt Norderstedt und Baudezernent der Stadt Norderstedt seit 2020

Steckbrief der Stadt

Name: Norderstedt

Kreis: Segeberg

Einwohnende: 81.830

Fläche: 58,1 km²

Website der Stadt Norderstedt:www.norderstedt.de

Website der Stadtwerke zum Thema Fernwärme:www.stadtwerke-norderstedt.de

Kenndaten der Photovoltaik-Freiflächenanlage

Fläche: rund 8 Hektar

Leistung: 9 MW

Ertrag: kein finanzieller Ertrag bezifferbar, da der produzierte Strom vollständig für den Betrieb der Wärmepumpen im Fernwärmenetz verwendet wird